Geschätzter Herr Lehari,
ich verabschiede mich heute von Ihnen – und von der Illusion einer meinungsmutigen Gesellschaft. Ich verabschiede mich von der Illusion integrer Politiker, vom Ideal einer mutigen, unbeeinflussbaren Presse, die unzensierte Meinungsvielfalt ermöglicht.
Leider muss ich konstatieren, dass viele Journalisten und Reporter einstiger Qualitätsmedien ihren Berufsethos längst verraten haben – so sie einen solchen denn je besessen haben. Statt neutraler Nachrichten liefert man oft fragwürdige Wertungen und Kommentare. Statt Chancengleichheit mit offenem Ende inquisitorische Talkrunden vor handverlesenem Publikum. Planmäßig wird Meinungsbeeinflussung gemäß eines vorgegebenen Gesellschaftsbilds betrieben. All das verkauft man ungeniert unter dem Etikett unvoreingenommener Berichterstattung.
Ich gebe auf und verabschiede mich von der Illusion, dass Verstand, dass die vernunftbegabte Ratio eine Chance gegen verblendete Ideologien hat. Viele Menschen vertrauen anscheinend eher den unglaublichsten Mythen, statt dem eigenen Verstand oder eigenen Erfahrungen.
Sie zweifeln an dieser These? Vielleicht überzeugt sie ein Beispiel: Vergegenwärtigen Sie sich nur die Macht von Vertriebsorganisationen (Kirchen) von Handbüchern religiöser Mythen, beispielsweise die Bibel. Deren „Wahrheitsgehalt“ speist sich aus Jahrhunderte alten Erzählungen, größtenteils tradiert nach dem Prinzip „Stille Post“. Was am Ende bei einer solchen „Nacherzählung“ herauskommt, hat vermutlich jeder schon mal anlässlich eines Schulaufsatzes oder eines heiteren Spieleabends erfahren.
Ein Bibelforscher hatte mal das Alter Gottes „Schöpfung“, also der Erde, des Weltalls, von Tier und Mensch auf etwas mehr als 8000 Jahre zurückgerechnet. Glücklicherweise waren Steinigungen schon aus der Mode, als Archäologen das Alter unseres Planeten auf 4,54 Milliarden Jahre bestimmten und das Erscheinen des ersten Homo sapiens auf zirka 300000 Jahre. Das Weltall wird übrigens auf knapp 14 Milliarden Jahre geschätzt. Bibelautoren und -forscher lagen also in allen Punkten gründlich daneben – Gott selbst nehme ich von dem Irrtum aus.
Aber ich schweife ab. Eigentlich wollte ich Ihnen und uns allen nur alles erdenklich Gute wünschen. Gute Wünsche werden wir alle noch zu Genüge brauchen. Mit dem Wünschen ist es wie mit dem Hoffen: beides stirbt zuletzt.
Die fetten Jahre sind vorbei. Leider.
Mit den besten Wünschen
Ihr
Detlev Gottaut